Wer sich heute zu einem Rendezvous verabredet, kommt nicht umhin, seinen hypothetischen Zukünftigen oder seine Angebetete online zu stalken. Facebook und Instagram machen es uns schliesslich auch verdammt leicht, so ziemlich jede Eigenschaft des Dates in Erfahrung zu bringen, ohne ihn oder sie überhaupt live gesehen zu haben.
Literarische Vorlieben, Musikgeschmack, Freunde, Partyverhalten, Lieblingscocktail – Social Media offenbart fast jeden Moment des Gegenübers, wenn sich Stalking-Begabte so richtig reinhängen. Und das ist doch irgendwie tragisch. Viele von uns sind erpicht darauf, jegliche verfügbare Online-Information über die Verabredung auszusaugen. Auf Instagram ist das dann auch mal ein zwei Jahre altes Bild auf dem Profil des Freundes der Cousine zweiten Grades. Crazy? Yup.
Die Luft ist vor der ersten Begegnung raus
Wieso bitte wollen wir vor dem eigentlichen Treffen schon alles über die Person wissen, mit der wir uns zum Kafi oder Bier verabredet haben? Verdirbt uns der innere Sherlock Holmes nicht gerade mit dem ungezügelten Detektivspielen die Tour? Statt die Verabredung wie üblich persönlich kennenzulernen, tun wir es am Computer oder dem Handy – und nehmen dem Date damit die ganze Spannung. Die Luft ist raus noch bevor überhaupt ein schüchternes «Hallo» gewechselt wurde.
Statt zu spüren wie das Adrenalin vor dem ersten Blickkontakt durch den Körper rast und den Puls bis in die Fingerspitzen zu fühlen, macht sich wohl eher Lustlosigkeit in uns breit. Weil wir dank der Stalking-Sitzung schon ein vorschnelles Urteil über den Date-Partner gefällt haben. Und weil wir deshalb schon vor dem eigentlichen Gespräch zu wissen meinen, dass das Gegenüber wegen des übertriebenen Fitnesswahns, der Protzuhrenkollektion oder dem übermässigen Make-up-Gebrauch nicht zu uns passt. Und schliesslich – wenn wir uns überhaupt noch für ein Treffen entscheiden – völlig desinteressiert am Kaffee zu nuckeln und gelangweilt die Storys zu hören, die wir schon von unserer einstündigen Online-Spionage-Session kennen, ist doch einfach nur ätzend.
Ich scheiss auf Social Media
Nennt mich ruhig altbacken. Doch ich bevorzuge es, der Person gegenüber lieber persönlich von meiner ersten verheerenden Begegnung mit Vodka-Redbull zu erzählen, meine beruflichen Wünsche zu offenbaren und künftige Reisepläne zu schildern. Vielleicht aber genau, weil ich selber schon so manchen Partner mit meiner vergangenen exzessiven Online-Stalking-Besessenheit ins Dating-Out katapultiert habe. Ein Bild im Proletensportwagen löste in mir etwa sowas ähnliches wie Brechreiz aus. «Nope, den will ich nicht treffen», waren die einzigen Gedanken. Heute weiss ich, dass ich zu vorschnell geurteilt habe.
Darum stehe ich mittlerweile dafür ein, meine Verabredung nicht gleich wegen ihrer Schwäche für gemütliche Fernsehabende zuhause als Langweiler zu verurteilen oder sie wegen regem Kontakt mit guten Freundinnen abzuschreiben. Mal ehrlich, das wäre ja auch ziemlich idiotisch – so ganz ohne anständiges Kennenlernen beim Tête-à-tête. Wie ich das schaffe? Ich scheiss aufs Social-Media-Profil meines Dates.
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