Es heisst immer, Blut sei dicker als Wasser. Mein Freundeskreis verrät mir jedoch was ganz anderes. Einige meiner Freunde kommen aus zerrütteten Familienverhältnissen oder haben den Kontakt zu ihren Eltern komplett abgebrochen. Die Liste der Gründe ist vielseitig: Eine Bekannte wurde vom neuen Freund der Mutter missbraucht, diese glaubt ihr jedoch nicht - das ist bis heute so. Sie musste sich selbst retten und hat den Kontakt zu ihrer Familie deshalb von heute auf morgen abgebrochen.
Doch nicht immer sind die Geschichten derart dramatisch. Manchmal lebt man sich einfach auseinander. Sei das durch physische oder emotionale Distanz. Erzählt man anderen davon, wird man oft mit Unverständnis und bösen Kommentaren gestraft. Elternliebe ist für die meisten Menschen eben doch etwas Unverzichtbares. Aber längst nicht mehr für alle. Für mich auch - zumindest wenn es um meinen leiblichen Vater geht.
Mein Papa und ich hatten einen schweren Start. Als mich meine Mutter nach der Geburt nach Hause brachte, war ihm das egal. Er freute sich nicht mal. Die Verbindung zwischen uns war von Anfang an gestört, könnte man sagen. Hätte ich vorher gewusst, dass sich das auch 24 Jahre später nicht ändern würde, hätte ich ihn wohl schon früher aufgegeben.
Für all den Schmerz hasse ich ihn
Als ich drei Jahre alt war, wollte sich meine Mama von ihm trennen. Mein Erzeuger hat sie betrogen, hat sie nicht wertgeschätzt. Zudem war er Choleriker und unheimlich aufbrausend. Trotzdem wollte er sie nicht gehen lassen, weswegen er seinen Bruder dazu anstachelte, sie zu bedrohen. Mama hatte Todesangst ihn zu verlassen – und tat es trotzdem. Nicht nur als Ehemann und Vater hat er auf ganzer Linie versagt. Ich glaube, dieser Mann ist einfach ein schlechter Mensch. Das weiss ich, weil meine Schwester mir Jahre später erzählt hat, was er ihr angetan hat.
Mein Erzeuger und seine neue Freundin haben das Leben meiner Schwester zur Hölle gemacht: Sie wurde eingesperrt, durfte nichts ohne deren Zustimmung machen – nicht mal essen. Er hat das einfach alles passieren lassen. Hat sie nicht beschützt. Stattdessen sass er lieber vor dem Fernseher und betrank sich, Abend für Abend. Meine Schwester musste sich freikämpfen, hat durch Verdrängung und exzessives Feiern überlebt. Für all den Schmerz den dieser Mensch meiner Mutter, meiner Schwester und letztlich auch mir zugefügt hat, hasse ich ihn. Das kann ich meinem Vater niemals verzeihen.
Es gibt keinen Platz mehr für dich in meinem Leben
Eigentlich brauche ich ihn gar nicht. Besser gesagt: Es gibt keinen Platz mehr für ihn. Vor vielen Jahren kam dann ein Mann ins Leben meiner Mutter, der mir mehr Vaterliebe schenkte als mein leiblicher Vater es jemals könnte. Als ich dann seinen Nachnamen annahm, lag die Welt für meinen Erzeuger in Scherben. Für einen Moment hatte ich tatsächlich Mitleid mit diesem Mann, aber jetzt ist er mir egal.
Das letzte Mal habe ich vor zwei Jahren mit ihm gesprochen. Dass ich mittlerweile 1000 Kilometer weiter südlich in einem anderen Land wohne, weiss er nicht. Oder dass ich verlobt bin. Und ganz ehrlich? Das will ich auch gar nicht. Der Gedanke, meinen Vater nie mehr zu sehen, ist schon komisch irgendwie. Aber dann erinnere ich mich daran, dass wir eigentlich nur zwei Menschen sind, die biologisch miteinander verwandt sind. Und das bedeutet nicht, dass man sich nicht von Familienmitgliedern trennen darf – selbst wenn es der eigene Vater ist.
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