Auch Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit. Und sie sehnen sich – genau wie wir alle – nach Popkultur-Journalismus und Sex-Ratgebern. Die bestehenden Medien werden von der rechten Szene jedoch gerne als viel zu linke Blätter angesehen, die mit ihrer Berichterstattung entweder auf eine Neue Weltordnung, das Aussterben der Weissen oder die Homosexualisierung des Westens hinarbeiten. (Linksextreme kritisieren die Massenmedien übrigens genau so fest und zücken teils das gleiche Argument mit der Weltordnung.)
Das heisst: Es muss ein eigenes Medium her. Eines, das genauso frech über Sex, Yoga oder das WG-Leben schreibt, aber sich nicht von Clinton, Merkel oder der Antifa vor den Karren spannen lässt. Die Heilsbringung verspricht nun das deutsche «Arcadi» – ein Magazin für junge AfD-ler und Menschen, die den Massenmedien misstrauen und sich bei einem Kleiderversand ein Shirt mit der Aufschrift «Heil Germania» kaufen.
Nähe zu Neonazis
2016 ging das Magazin unter der Leitung von Yannick Noé, Sprecher der AfD Leverkusen, online. Im Oktober erschien die erste Printausgabe, finanziert unter anderem durch die Werbung von rechten Shopbetreibern, die teils Mitglieder des umstrittenen Neonazi-Netzwerkes «Blood & Honour» waren. Das zeigt ein weiteres Mal, wie wenig Berührungsängste die alternative Rechte mit faschistischen Ideologien kennt.
Inhaltlich widmet sich «Arcadi» den Themen, die die Jugend interessiert: «Drei Gründe warum du Deinen Sex besser nicht filmen solltest!» («Sie töten dich»), «Weihnachtsgeschenke für revolutionäre Konservative» oder «Lesbenpornos: Warum Frauen plötzlich denken, sie wären lesbisch». Der Unterschied zu anderen Jugendportalen zeigt sich aber am besten an der eineinhalb Jahre nach der Premiere erscheinenden Rezension zu «Angry Birds – Der Film»: Schlussendlich wird alles auf rechte Ideologien gedreht, so auch der kindliche Animationsfilm, der dank identitärem Charakter und moderner Gesellschaftskritik überzeuge.
Anti-Feminismus und vegane Kochbücher
Die Vielfalt an Themen ist derweil bunt: Neben Besprechungen von Büchern, die beinahe schon apokalyptische Flüchtlingsverbrechen schildern, werden auch vegane Kochbücher getestet, Sex-Tipps gegeben (in etwa: Mach’s mal draussen!) oder Reiseberichte publiziert. Bemerkenswert ist auch das «Gedicht zum Feminismus». Ein Vers zur Demonstration:
«Haare werden kurz geschoren
bunt gefärbt, grotesk toupiert
Sommerkleid weicht alten Hosen
freudlos das Gesicht frustriert»
Das «Arcadi» ist die deutsche Anti-These zum angeblich linken Jugendjournalismus, passenderweise auch als «Neon für AfD-ler» betitelt. Schon alleine aus Gründen des Meinungspluralismus ist die Publikation natürlich nicht zu verurteilen – you do you, auch wenn man des Öfteren leer schlucken muss. Beispielsweise bei einem Plädoyer für einen besseren Ruf von Waffen zur Selbstverteidigung.
Ein Lob aufs Schwarz-Weiss-Denken
Oder bei einem antifeministischen Text, dessen Essenz darin liegt, dass sich Frauen etwas züchtiger anziehen sollen. Natürlich werden da alle über einen Kamm geschehrt, was aber wohl der Linie des Magazins entspricht, denn anderswo wird das Schwarz-Weiss-Denken schliesslich gelobt. Wahrscheinlich ist einzig die Mutter des Autors, von der er im Text genervt ist, weil sie etwas auf dem Auto-Navi nicht erkennt, aus der Verallgemeingerung ausgeschlossen. Und dass die angeprangerten «Vollblutemanzen» wahrscheinlich nicht die gleichen Menschen sind, die «BILD der Frau» lesen, entgeht dem Autor leider.
Was das «Arcadi» nicht nur mit dem Plädoyer fürs Schwarz-Weiss-Denken beweist: Was man in den USA beobachten kann, geht wohl auch in Europa vor sich. Der Graben zwischen links und rechts wächst: Auf Facebook (Stichwort Filterbubble), in den Medien und auch im echten Leben. Immerhin: Laut dem Nachrichtendienst des Bundes sinkt die Anzahl an Extremisten in der Schweiz – auf beiden Seiten des Spektrums. Das lässt uns doch immerhin aufatmen.
105 Kommentare